Während alle anderen entweder dort blieben oder die Verfolgung aufnahmen lief Siradda voller Angst und Panik durch mehrere dunkle Korridore, in denen wieder die Gesichter von ihren Opfern zu sehen waren. Hinter sich konnte sie auch etwas erkennen. Einen großen Schatten, der immer weiter nach ihr greifen wollte. Die Hand kam näher und näher, jedes Mal wo sie sich umdrehte. Egal wie oft sie irgendwo einbog.
Erst nach guten zehn Minuten begann die Illusion endlich abzuflachen. Siradda bemerkte wie die Umgebung um sie herum sich von Mauern aus Fleisch in Mauern aus Stein zurückverwandelten. Sie fing an den Regen auf ihrer Haut zu spüren. Nur die Kälte verblieb. Ihr Gesicht fühlte sich auch wieder ganz an. Nur innerlich war sie ganz und gar nicht mehr ganz. Aber sie wusste es doch schon längst!
Als die Seelendämonin sich ihren Kopf hielt waren es sehr bald nicht nur mehr Regentropfen, die auf den Boden aufschlugen, sondern auch ihre Tränen. Sie weinte und schluchzte. Es wurde ihr alles zu viel. All der seelische Schmerz. Sie wusste nicht mehr wohin mit ihren Emotionen. Alles was sie tat oder tut endet letztendes immer nur in Leid. Alles was sie konnte war zu täuschen. Wenn es nicht jemand anderes war, dann sich selbst. Nutzlos! Das war sie. Es machte sie nur noch kranker daran zu denken, aber sie war machtlos gegen ihre Nutzlosigkeit. Wie könnte sie denn irgendwas erreichen! Ihre andere Seite, auch wenn sie es nichtmal wirklich war hatte doch recht… Die war stark, nicht sie! Wie könnte sie nur irgendjemanden jemals beschützen, wenn sie das noch nicht einmal für sich selbst kann!
Verwirrt von allem ging sie ohne Ziel weiter und bog noch in einigen Gassen ein, ehe sie in einer vor sich etwas vorfand. Ihre Sicht war noch verschwommen, aber sie sah da etwas! Auf dem Boden! Ein Körper! Sie rannte eilig zu diesem und prüfte als allererstes den Puls. Der Mann, vielleicht um die 40 Jahre alt, lebte! Aber überall an seiner Kleidung waren Stich- oder Schnittwunden… Das Opfer eines Überfalls? Egal! Siradda sah ihre Chance! Trotz ihrer eigenen körperlichen Beschwerden - Hunger und zwar beide Arten, die eine Dämonin haben konnte - legte sie einen Arm des dünnen Mannes um ihre Schulter, sodass sie ihn tragen konnte. In der materiellen Welt hatte sie längst ihre Augen geschlossen und schaute stattdessen von der Geisterwelt aus, um sicher zu gehen diesen auch in die richtige Richtung zu schleifen! Wo auch immer die auch war… Eine größere Straße oder irgendeine Tür, bei deren Fenstern Licht brennt! Sie konnte ein Leben retten. Ein Hoffnungsfaden! Sie bemerkte während sie den Mann mit sich schliff, dass dieser seine Augen öffnete. Er schaute die junge Frau an, die es schaffte ihn mit sich zu ziehen. “Wenn du es unbemerkt machen möchtest… du hast da eine Seitengasse verpasst.“, murmelte dieser. Siradda erschrak, wechselte einmal kurz die Seite auf der sie sah und schaute dem Mann in dessen Augen… Es war wohl irgendwo logisch, dass so nah selbst ein durchschnittlicher Magier mit genug Lebenserfahrung es merken könnte. Doch sie schüttelte ihren Kopf. “
D-das ist mir gerade u-unwichtig… ic-ich brauche etwas anderes viel, viel mehr! Halte noch etwas durch! Bitte!“" Der Mann schaute für einen Moment ungläubig und erkannte erst jetzt, dass ihn nicht sein Ende trug, sondern seine Retterin. Jedoch war es… “Welch unerwartete… Wendung… Danke, aber… Tut… mir leid… “
Nachdem der ihr unbekannte Mann diese Worte gesprochen hatte wurde er schlaff. Siradda blieb stehen, schaute ihn für einen Moment fassungslos an. “
Nein!!!" Sie ließ ihn los, ließ ihn auf den Rücken liegen. “
Tu das nicht! Wag es nicht! Ich erlaube es nicht!!!" So gut sie nur konnte versuchte die unerfahrene Dämonin das nachzumachen, was sie so einige Male als Geist in der ersten Reihe verfolgen konnte. Sie presste wiederholt ihre Hände gegen die Brust, versuchte den Mann zu beatmen und wiederholt dies wieder und wieder! Es vergingen bestimmt drei Minuten. In der ersten besaß sie noch Hoffnung. In der zweiten machte sich Ernüchterung breit. Und in der letzten setzte die Erkenntnis ein. Wieder begann sie zu weinen, zu schluchzen. Die Gedanken die sie eben versuchte den gar aus zu machen machten sich in ihr wieder breit. “
Verdammt, verdammt, VERDAMMT!"
Sie schlug wiederholt wild auf die Leiche vor sich ein, um ihre Wut irgendwo raus zulassen. “
WIESO? Warum bin ich nur so nutzlos?!" Wieder flossen ihre Tränen, als sie ihre Hände für einen Moment zu ruhe kamen. “
Ich will doch… ich will doch nur einmal…" Es hing ihr im Hals! Vor lauter schluchzen kam sie gar nicht dazu ihre Gedanken in die Welt hinauszuschreien. Sie musste allein dafür Kraft aufbringen. So schwach war sie… So erbärmlich… “
Einmal jemanden retten. Einmal die Gute sein…", schrie sie in den Himmel. Für einen Moment hätte sie schwören können dort jemanden auf den Dächern nach ihr geschaut gesehen zu haben. Jemand vermummtes. Doch als sie sich darauf konzentrierte war da doch niemand… Nun sieht sie schon Dinge ohne unter einer Illusion zu stehen.
Fertig mit der Welt schaute sie wieder vor sich. Die Tränen in ihren Augen vergingen als sich in ihr eine Erkenntnis breit machte. Plötzlich wieder ganz ruhig, aber mit gesenkten Kopf, auf den Körper des eben verstorbenen Mannes schauend, kam die Seelendämonin auf ihre Beine zurück.“
Stimmt ja… Du bist ja nichts anderes mehr als ein Haufen Fleisch…"
Sie packte den Leichnam am Kragen und zog diesen ein paar Schritte zurück, ehe sie vor der Sackgasse von eben zum stehen kam und in diese hineinschaute.
Mit all ihrer Kraft schmiss sie denjenigen, den sie eben noch retten wollte in diese hinein und trat in eben jene ebenfalls ein.
Ein Knurren. Sabber floss ihrem Mund herunter, während ihre Augen schmaler wurden, ganz fokussiert auf ihre Beute. Sie fuhr sich mit ihrer Zunge über ihre Lippen.
“
Ich habe bei dem ganzen Stress… ganz vergessen…" Sie kniete sich nieder und riss die Oberkleidung vom Leib des Mannes.
“
… wie sehr… ich mich danach gesehnt habe…"
Siradda, auch in der Geisterwelt längst komplett auf das vor ihr stehende fokussiert, zog ihr Schwert und schnitt den Bauch des Leichnams auf. “
Endlich…"
Derweil bemerkte sie nicht, dass sie für einen Moment länger von oben beobachtet wurde, ehe eine maskierte Gestalt von dannen zog.
Siradda war noch gerade so geistig anwesend, dass sie die Kapuze entfernte und zur Seite an die Wand legte, dort wo der Regen wie er im Moment runter goss nur wenig hinkam. Das Schwert ließ sie währenddessen neben sich liegen. Sie musste irgendwie später das Blut an sich verdecken können… Aber dann konnte sie sich nicht mehr zurückhalten. Sie griff mit ihren Händen in den Leichnam hinein und zog dessen Innereien heraus, nur um dann in diese hineinzubeißen. Sie riss ein großes Stück aus diesen heraus und kaute es in ihrem Mund. Da war es. Dieser Geschmack. So einzigartig, auch wenn noch das gewisse Extra fehlte, das sie noch ein Tickchen mehr liebte. Aber das war es, was wonach sie sich seit ihrer “Wiederauferstehung“ so gesehnt hatte! Oh wie oft sie ihre Sucht nach diesem Mahl zurückhalten musste, insbesondere als ihre Nase und Mund so hautnah an dem war, was sie so sehr begehrte. Zuerst Korina bei ihrer Vorstellung. Florence darauf, ja trotz des anderen Geruchs. Kein Wunder, war doch ihr geliebtes Dämonenfleisch direkt vor ihr gewesen. Aber an den Lebenden zu vergreifen kam für sie nie in Frage, egal wer es war… war sie es doch gewohnt immer von frischen Leichen wie diesen umgeben zu sein. Sie musste nicht töten, andere taten es für sie! Und sie konnte nichts dagegen machen! Also wieso die schöne Mahlzeit einfach verrotten lassen?
Desto mehr sie dieses rohe Fleisch auf ihrer Zunge spürte und das rote Gold ihre Speiseröhre hinunterfließen ließ, desto mehr zerflossen all ihre Gedanken und Sorgen dieser Welt. Sie gab sich diesem Gefühl komplett hin, gab es doch im Moment auch nichts, was sie im hier und jetzt mehr halten konnte. Siradda schluckte. So wohl… so wohl hat sie sich ewig nicht mehr gefühlt!
Und sie wollte noch mehr, viel, viel mehr. Also griff sie wieder hinein. Wieder und wieder und wieder. Sie stopfte sich voll und verschlang so viel von dem Menschenfleisch wie auch nur in ihre Kehle passte. Und desto länger sie dies tat, verschwamm um ihr herum alles weiter. Das einzigste was sie noch tat, war wie verträumt in den Himmel zu schauen und das Wasser in ihr Gesicht prasseln zu lassen, während sie den letzten Bissen wie die zuvor hinuntergleiten ließ. Das einzige, worauf sie noch aufpasste war zu versuchen zu merken, wenn sie ihre absolute Obergrenze erreicht hatte. Aber noch stand sie erst noch kurz vor der Überladung. Ja, die Überladung… schon bald wird sie wieder dieses unglaubliche Gefühl verspüren dürfen!
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Ihr gegenüber war fassungslos, als er dies hörte. Siradda tat was? Aella bemerkte seinen Schock und ließ ihn fürs erste realisieren was ihm da offenbart wurde. In all den Jahren, wo sie zusammen waren, hatte Siradda niemals auch nur einer Fliege etwas angetan, geschweige denn sich über die Dinge gefreut, die er mithilfe ihrer Kräfte machte. Er hielt sich zwar ihretwegen zurück, aber dennoch… Das was sie mit der Besitzerin des Körpers machte, den sie nun steuert war das einzige, was auch nur annähernd an sowas herankam und selbst da ist die Seelendämonin im Glauben noch etwas Gutes für ihre derzeitige Marionette tun zu können. Dass sie gezwungenermaßen nun auch anfangen wird andere zu verletzen, wenn sie den Schwingen helfen will war zwar auch ungewöhnlich und dennoch… Was seine Freundin da eben erzählte stellte sein Bild von dieser eigentlich so harmlosen Dämonin komplett auf den Kopf. Und das schlimmste? Er wusste, dass Aella darüber niemals “spaßen“ würde. Nicht über ihre Schwester. Nicht so übel. "
A-aber wie? Das… Zwecklos. Er konnte sich das alles noch nicht erklären. "
Erzähl weiter." Dies war eine dieser Geschichten, die bis zum Ende gehört werden musste. Dann hat er immer noch die Gelegenheit um Fragen zu stellen.
"
Das war nur der Anfang. In den kommenden Wochen und Monaten gab es einige… Zwischenfälle. Zuerst waren es nur Sklaven, aber irgendwann auch ab und an leichtsinnige und unvorsichtige Soldaten. Ohne jegliche Provokation tötete sie oder entzog ihren Opfern die Seelen, um mit denen irgendwas zu machen, ehe diese sich einfach auflösten. Agrumos gefiel ihre Entwicklung und unternahm kaum etwas, was die Wirkung von dieser Veränderung nur noch verschlimmerte, da auch niemanden es erlaubt war sie zu töten oder ohne seine Erlaubnis zu verletzen, was sie immerhin sein Eigentum. Versteh das jetzt bitte nicht falsch, sie wurde nicht verrückt oder so… glaube ich… aber blutrünstiger und gefährlicher. Sie begann wieder mit mir zu sprechen, doch ich merkte, dass das immer weniger meine geliebte Schwester war. Mit mir tat sie nichts, aber… ich wusste nicht was ich tun sollte. Sie hatte keinerlei Interesse daran wieder “schwach“ zu werden, wie sie ihr altes Ich beschrieb. Vielmehr wollte sie die Abgründe ihrer Macht kennenlernen. Um dieselbe Zeit entstand auch die Theorie über den Seelenlink. Es war ihre eigene Idee. Du solltest Siradda nicht unterschätzen. Sie ist eine kluge Dämonin, die durch ihre ganzen Zweifel und Sorgen aber kaum dazu kam ihr volles Potential auszuschöpfen. Ein Beispiel ihrer Intelligenz haben wir beide und der Rest ja mittlerweile kennengelernt."
Dieser ganze Wahnsinn wurde immer bunter. Siraddas Seelenmagie war ausgesprochen mächtig, insbesondere in der Geisterwelt, wo mal von Fällen wie Menhit oder Kline nur körperlose Seelen herumwandern, die für eine solche Dämonin wie gefundenes Fressen war. Sie konnte damit in der Theorie so einiges machen, aber tun tat sie es nie, egal wer sie konfrontierte. Aber wenn sie sich in der Erkundung ihrer Möglichkeiten vertiefte, was hat sie sonst noch herausgefunden? Vor allem, Aella meinte da anfangs etwas. Hatte das damit zu tun?