Korina sah die Broschen nachdenklich an. Sie sollten also ein Schlüssel sein, der zu einem versteckten Schatz führte. Und dann gab es noch ein Amulett, dals als Schlüssel zu diesem Schlüssel diente.
"Wo ist dieses Amulett?" fragte sie.
"Wir haben diese Broschen von Nergal erhalten. Hat er also auch das Amulett? War er schon selbst in diesem Versteck... oder, wenn er es nicht hat, will er vielleicht, dass wir das Versteck für ihn finden?"
Was Braig gesagt hatte, war ebenfalls besorgnis erregend. Barbara wollte wissen, was er der Gruppe bisher schon angetan hatte. Warum wohl? Korina jedenfalls antwortete als erste.
"Wir sollten mit ihm zusammen arbeiten. Einem aus unserer Gruppe, der ihn schon vorher gekannt hat, gefiel das überhaupt nicht, und seine Befürchtungen bewahrheiteten sich: Braig hinterging uns und hat uns angegriffen. Und außerdem war da etwas, das er zu mir gesagt hat..." Sie verschränkte die Arme, ihre Finger krallten sich in ihre Haut, als sie fieberhaft die folgenden Worte ausformulierte.
"Anscheinend hatte ihn jemand beauftragt, meine Eltern zu ermorden. Ich weiß nicht viel darüber, aber anscheinend hatte sich die Sache erledigt, weil sie zuvor gestorben sind, und das... und das... daran war ich Schuld, an ihrem Tod. Und er hat sich unverblühmt bei mir dafür bedankt, ihm die Arbeit abzunehmen."
Die Erinnerungen an den Tod ihrer Eltern quellten wieder hoch. Der Zorn, den die durstige Klinge in ihre entfacht hatte, es war ein Hass auf anderes Leben, geboren aus dem Wunsch, das eigene Leben zu beschützen. Und Korina spürte auch den Hass, den sie auf sich selbst richtete, dafür, dass sie diesem Pfad des Hasses danach freiwillig weiter gefolgt war. Der Tod ihrer Eltern war vielleicht ein Unfall gewesen, aber was sie anschließend getan hatte, das machte es genauso schlimm, als hätte sie den Mord gezielt begangen. Verrat an ihren Eltern und dem, für was sie standen als Beschützer. Solcher Verrat verdiente Hass. Verräter verdienten Hass. Korina meinte sich erinnern zu können, schon einmal einen Verräter dermaßen gehasst zu haben, wie sie jetzt sich in diesem Moment selber hasste.
"Nein... das war nicht ganz richtig... dass ich daran schuld bin, das lässt es so klingen, als sei es ein Unfall gewesen. Nein... ich habe sie selbst getötet."
Hass. Hass. Hass. Geblendet vor Hass sah sie auf einmal nicht mehr den Raum. Der Hass machte ein ganz anderes Bild sichtbar. Obwohl sie diese Bilder zum ersten mal sah, diese Töne zum ersten mal hörte, so kam es ihr doch bekannt vor. Wie eine Erinnerung.
Schreien und Weinen. Schmerz. Es hätte alles ruhig vor sich gehen sollen, niemand hätte zu Schaden kommen sollen, doch jemand hatte das verdorben. Ihre Gruppe floh, hinweg von einer Burg, aber sie rannte in die andere Richtung, ihren Häschern entgegen. Der Grund für ihre Umkehr: Gerade eben hatte sie herausgefunden, dass man sie nicht einfach entdeckt hatte, nein, es gab einen Verräter. Ihre Hände, bewachsen mit schwarzen Federn, umklammerten ein großes, schwarfes Schwert. Bald war sie an den Verfolgten vorbei, und kam den Verfolgern entgegen. Da war er, dieser Zorn. Gerichtet gegen jene, die ihre Liebsten schändeten, wandelte er sich Kraft. Die Verfolger fürchten diese Kraft. Einige ließen sich von dieser Furcht nicht stoppen, und fanden schnell ihr Ende, entzwei gehackt durch ihre Klinge, andere mieden eine direkte Konfrontation und wichen aus, um die Verfolgung fortzusetzen, denn sie konnten sich denken, an wessen Kragen die zornige Schwertkämpferin wirklich wollte.
Sie kam schließlich am Burgtor an. Oben auf dem Torhaus fand ein Kampf statt. Schatten gegen Pflanzen. Schwert gegen Hand. Aber dort war nicht der Verräter. Der wartete im Burghof.
Da war er. In menschlicher Gestalt, so als hätte er keine Sorge in der Welt. Ein Halbstarker, ein Jüngling. Ungekämmtes blondes Haar, grad mal ein Hauch von Stoppeln auf dem Kinn, weder groß noch muskulös, so sah er nicht so aus wie jemand, der so viel Leid verursacht haben könnte.
Erst als Korina sich ihm rasant näherte, machte er anstalten, sich zu wehren, aber das war nutzlos. Die Schwertkämpferin stürmte mit ausgestrecktem Arm auf ihn zu, sie konnte Federn und Stacheln sehen, die sich aus hautlosen Muskeln erhoben. Ihre Hand schloss sich um seinen Hals und sie gingen zu Boden, er wurde über den gepflasterten Burghof geschleift und hinterließ eine breite Blutspur. Erst, als sein Kopf gegen einen Brunnen knallte mit genug Kraft, um einen normalen Menschen umzubringen, kamen sie zum stehen.
"Ist es wahr?" Die Stimme, mit der Korina sprach, hatte sie nie gehört, und doch erkannte sie sie als ihre eigene. Jedes Wort tropfte vor Zorn und Hass auf diesen Jüngling.
"Hast du uns betrogen? Jill, Andreas, Werner, Hilda, und so viele andere... sind sie wegen dir gestorben?" Sie schlug ihm ins Gesicht, so hart, dass seine Nase abgerissen wurde, doch es fügte sich wieder perfekt zusammen.
"Verräter... du bist doch hier die Verräterin, Schwester. Deine eigene Familie zu betrüugen. Alle die weglaufen... die lassen doch den Rest hier allein. Wer nicht den Mut hatte mit euch zu fliehen... der muss sich dann danach Vaters Zorn. Immer sagst du, der Familie treu zu sein und den Schwachen zu helfen, aber jetzt sind dir deine Schwachen Geschwister egal und lässt sie im Stich. Zu ihrem Schutz... kam diese Hetzjagd..."
Er redete noch weiter, aber Korina hatte keine Lust mehr, seine Rechtfertigungen mitanzuhören, die nicht einmal stoppte, als sie wieder und wieder seinen Kiefer und seine Gliedmaßen brach. Jede Verletzung heilte sofort. Aber selbst sein massiver Energievorrat würde bald ausgehen. Aber das war ihr nicht genug, sie wollte ihn jetzt zum Schweigen bringen. Sie erhob ihre klauenbewehrte Hand und ließ sie auf seine Brust zurasen. Warmes Fleisch umgab ihre Hand, als sie das schlagende Herz umklammerte, und zog, und zog, und zog. Und als es sich endlich löste und aus dem Mund des Jungen nur noch gurgeln hervorkam, kehrte Korina in die Realität zurück.
Ihre Stirn pochte. Grund dafür war wohl ein Stur, denn Korinas Gesicht lag auf dem groben Holzboden. Sie wahr wohl nur eine Sekunde weg gewesen, denn noch hatte keiner Gelegenheit gehabt, ihr hochzuhelfen.