Camus sah interessiert zu, wie Siradda von der Geisterwelt aus in Lauriams Körper fuhr. Solche Zauber waren schwer zu erlernen und schwer zu verwenden, für die meisten Pakte brauchte man also umständlichere Methoden. Für Lauriams Zwecke sollte das jedoch sehr nützlich sein, dachte sich der Metalldämon, denn so zwanglos, wie das Schließen des Paktes hier ablief, war es wohl ein Kurzzeit-Pakt, von der Sorte, die man häufiger wiederholte, sodass man bei Bedarf die Fähigkeiten des Dämonengeistes in der materiellen Welt einsetzen konnte, ohne dass der Geist langzeitlich im Körper des Partners fest saß. Genevieve, die nicht sehen konnte, was in der Geisterwelt vor sich ging, war stattdessen mehr an Lauriams körperlicher Reaktion interessiert. Der angeblich ferngesteuerte menschliche Körper Siraddas erklärte, dass Lauriam durch den Pakt auch dessen Sinneseindrücke wahrnahm. Normalerweise war diese Facette des Dämonenpaktes - nämlich dass Wirt und Geist alles gemeinsam erlebten - einseitig, da es nur einen Körper gab, dessen Sinne man wahrnehmen konnte. Siraddas Magie, durch die diese einzigartige Situation überhaupt erst möglich war, wurde immer mehr zum Ziel von Gens Neugier.
Séamus spührte Lauriams Finger auf seiner Stirn, aber ansonsten nichts. Man kann nicht wirklich fühlen, wie die eigenen Gedanken im Kopf von einem äußeren Eindringling herumgewoben werden. Es fühlte sich höchstens an, als sei sein Geist eingeschlafen wie ein Arm, auf dem man zu lange gelegen war und der deshalb kurzzeitig ertaubt war. Hier und da nahm Séamus Fetzen von den Dingen wahr, die Siradda sich ansah, es fühlte sich an wie ein zufälliger Gedanke, den man nicht weiter verfolgt oder wie ein Ohrwurm, der im Hinterknopf an seiner Gitarre herumzupfte.
Als erstes sah Siradda die Version der Ereignisse, an die Séamus sich erinnerte. In der Nacht seines Verschwindens traf er eine betrunkene, wütende Korina, ihre Züge verzerrt zu teuflischen Fratze. Sie griff an aus dem Nichts, schlug ihm mit dem Knauf der Rabenklaue auf den Hinterkopf, sodass er sich nicht mehr bewegen konnte, und ihn dann langsam folterte. Nur weil er ein Dämon war, hatte er überhaupt die Chance, solche Verletzungen zu überleben. Ein furchtbarer Anblick für Zuschauer mit schwachem Magen, ja, aber nichts, was im nachhinein eine so extreme Reaktion auf seine Peinigerin auslösen sollte, oder? Die Schemen, die Séamus selbst davon mitkriegte, schienen bei ihm auch keine Reaktion auszulösen.
Weiter ging es. Korina ließ ihn irgendwann zum ausbluten zurück, doch er wurde von Sabeth gefunden. Sie schnitt sich in den Finger und ließ ein paar Tropfen energiereichen Blutes in seinen Mund fallen, was seine Regeneration soweit anregte, dass er nicht hier und jetzt starb. Sie brachte ihn irgendwo hin, wo er das Gesicht einer Frau sah, die sich als Aoife vorstellte. Er wurde gesund gepflegt, und Siradda würde die Dankbarkeit fühlen, die er zu dieser Zeit gespürt hatte. Nicht viel geschah für ein paar Wochen, außer, dass Aoife ein paar mal über ihm Stand und ihn an den Kopf fasste, ähnlich, wie Siradda es gerade tat, bis Séamus schließlich an Genevieve überreicht wurde.
Die anfänglichen Ereignisse, nämlich der Angriff, das ließ sich von jemandem wie Siradda leicht entfernen, es war eine ziemlich komplette Fabrikation, im Gegensatz zu späteren Ereignissen, bei denen Séamus' Erinnerungen nur leicht beschönigt worden waren. Es war, als würde man ein Plakat von der Wand reißen, und dahinter sah man, was in jener Nacht wirklich geschehen war: Sabeth, die Séamus angriff und etwas über die Alten sagte, und Séamus Gedanken aus jenem Moment teilten Siradda mit, dass Sabeth wohl wirklich von den Fünf Alten sprach und nicht von irgend jemand anderem.
Bei dem, was danach geschah, gab es weniger zu sehen, weil Séamus die wichtigsten Dinge gar nicht so richtig mitbekommen hatte. Genau wie Siradda es jetzt tat, hatte Aoife nämlich in seinem Kopf herumgewühlt und seine Seele untersucht. Ein bisschen Monolog konnte Siradda auflesen, den Aoife verdeckt hatte, damit Séamus sich nicht daran erinnerte:
"Sie hat es also tatsächlich geschafft, die Geburt einer Seele herbeizuführen. Ich wage es kaum zu glauben, aber die Traumfliegerin ist in der Tat noch mächtiger geworden, seit ich sie zuletzt gesehen hab." sagte Aoife. Die Traumfliegerin war eine der Fünf Alten, jene Dämonen, die sich im Krieg der Verheerung gegen Blitzbringer, den König der Dämonen, gewandt hatten, das sollten Siradda und Lauriam wohl wissen.
"Was sie wohl dazu verleitet hat? Tat sie es einfach, um sich zu beweißen, wie viel sie drauf hatte? Oder hat sie sich auf ihre alten Jahre doch eine Art Nachfolger gewünscht, und deshalb dich als ihren Sohn erschaffen? Ja, das könnte ich mir vorstellen. Markus' Prototyp, der eigentlich weggeworfen werden sollte, nun doch mit einer eigenen Seele, wenn er ursprünglich keine hatte. Eins ist jedenfalls klar: Falls sich meine Theorie bestätigt, könnte diese_Methode ?3r Schlüss€l dazu sei=, die EW*g/ Seele zu e#+5?§%%%%%%%%%%%-------" Die Erinnerung löste sich plötzlich in unmenschliche Geräusche auf, wie aufeinander krachenden Metall, denn Siradda würde bei ihrem Stöbern abrupt auf den Moment stoßen, indem Aoife diese panische Angst in Séamus' Kopf platzierte. Und auf eine Nachricht an jeden, der zu tief grub:
"Hallo. Wer immer du auch bist und weshalb auch immer du hier herumstöberst: Das ist ein kleines Geschenk für dich. Keine Sorge, weil ich nicht da bin kann ich dir das nicht als permanente Reaktion einbauen... aber bei so manchen Menschen kann ein guter Schock schon ausreichen." Und egal, wie sehr Siradda auch versuchen würde, jetzt noch den Kontakt abzubrechen, das Geschenk erreichte sie und Lauriam noch. Dieselben kruden Geräusche wie grad eben donnerten ihr durch den Kopf, als Aoifes Zauber versuchte, ihre Erinnerungen zu durchwühlen und sie noch einmal ihre furchtbaren Erinnerungen durchleben zu lassen. Nur Siraddas starke Fähigkeit ließ es zu, sich vor dem mächtigen Zauber zu schützen. Aber sie war nicht die einzige, die davon angegriffen wurde: Als Besitzer des Körpers, den sie gerade benutzte, wurde Lauriam ebenfalls zum Ziel, und ihn konnte sie nicht abschirmen.