"Es gibt bestimmt so einige Drachen, die besser fliegen können als ich. Aber mich kümmert so etwas nicht. Fliegen allein ist schon toll, egal, wie schnell oder wendig man ist. Ich bin noch nicht mal fünfhundert, ich hab noch genug Zeit, das Leben zu genießen, da brauch ich keine Eile." erklärte Taluhut und zog den Kopf zurück. Hokulani schien jetzt keine Fragen mehr zu haben, deshalb blickte der Drache wieder Korina an und sprach mit seinen nächsten Gedanken nur sie an:
"Du scheinst ja ein paar nette, mutige Freunde zu haben, Korina. Eine wahrhaft... illustre Runde. Einige von ihnen mögen zwar nicht ganz dem entsprechen, was man normale Menschen nennt..." Er nickte kaum merklich in Rhords Richtung,
"Aber ich glaube, dass sie trotz einiger eher... monströseren Lebensweisen respektable Genossen sind. Wenn jemand wie du sie als Freunde bezeichnet, dann vertraue ich diesem Urteil." Dies stach Korina ins Herz. Würde er genauso reden, wenn er wüsste, dass sie ihn angelogen hatte und in Wahrheit der Rabenteufel war? Sie sollte lieber schnell das Thema wechseln.
"Wie läufts eigentlich daheim? In Bad Eisenschnee, meine ich. Warum bist du nicht mehr dort?"
"Nicht so rosig, fürchte ich. Die Dorfwache war dezimiert und eine Menge Gebäude beschädigt. Viele Leute sind umgezogen, vor allem die jüngeren. Jetzt sind nur noch die Alten übrig, die schon so viele Jahre dort lebten, dass sie nirgendwo anders hinkönnen. Ich kann dir leider nicht sagen, dass es bis zur nächsten Generation überlebt. Ich selbst konnte es nicht mit ansehen, und brauchte auch einen Tapetenwechsel, so sehr es mich beschämt. Also kam ich ans Meer und bin schließlich der Grenzpatrouille von Branlahr beigetreten."
Danach verlief das Gespräch ins Nichts. Taluhut konzentrierte sich wieder darauf, das Wasser aus dem Schiff herauszuhalten, und nach wenigen Stunden waren sie bereit zur Weiterfahrt. Der Kapitän sandte einen Botenvogel voraus, um die Hafenmeisterei in Iridae über eine Verspätung um einen halben Tag zu informieren. Nachdem sämtliche gestohlenen Wertgegenstände und Vorräte aus den Piratenschiffen herausgeholt worden waren, zündete man beide Schiffe an, und die Flammen vermischten sich mit dem Sonnenuntergang zu einem hellen Leuchten, als der Grüne Wal nach Osten weiterfuhr. Und zwei Tage später, am Nachmittag des 2. Juni 423, lief das Schiff endlich in Portia Iridae, die Hauptstadt des großen Inselstaates, ein.
Wer dachte, der Hafen von Pysajel sei bereits riesig, musste sich beim Anblick der Portia-Bucht auf einen Schock gefasst machen. Angefangen mit dem großen Leuchtturm, der Schiffe bei Nacht in die Bucht lotste, und dem mehr als regen Verkehr an ein- und ausgehenden Schiffen aus aller Herren Länder, kamen schließlich Docks und Lagerhäuser und Werften und Stege und Kräne, so weit das Auge reicht in Sicht. Die Küstenstraßen waren gesäumt von Botschaften, Handelszentren, und natürlich Gasthäuser für müde Reisende, die genug von schwankenden Schiffen hatten. Mehrere Kanäle führten tiefer in die Stadt, zu Lagerhäusern am Stadtrand und zu Flüssen, auf denen landwirtschaftliche Produkte aus dem Zentrum des Landes in die Hauptstadt gebracht wurden. Aber die Krone des Hafens war natürlich die Iris-Speicherstadt, das Wahrzeichen von Iridae, ein gigantischer Komplex aus Lagerhäusern, groß genug, um ein eigenes Viertel zu bilden, errichtet mit einer einzigartigen Mixtur aus iridischer, syvicischer und zanosmeaer Architektur. Ursprünglich nur als Lagerhäuser gedacht, waren in den letzten zehn Jahre mehrere der Gebäude zu wichtigen Büros oder Luxushotels umgebaut worden, um den Reichtum und Einfluss Iridaes zu demonstrieren.
Der Grüne Wal legte am großen Steg A-2 an, direkt an der Speicherstadt, und die Passagiere wurden von Bord gelassen. Nachdem Korina die Landungsbrücke verließ, streckte sie sich erst mal. Endlich hatten sie wieder festen Boden unter den Füßen.
"Aaah, tut gut, endlich da zu sein. Ich weiß nicht, wie's euch geht, aber für mich hat's sich so angefühlt, als wären wir eineinhalb Monate lang auf diesem Schiff gewesen." Mit in die Hüften gestemmten Armen stellte sie sich vor Noire und Leo.
"Tja, dann mal ab zu eurem Zuhause, würd ich sagen."
In diesem Moment kam von oben eine in schwarz gekleidete Gestalt geflogen und landete mit einem lauten Platschen im Wasser neben dem Steg.
"So, damet wär dene Schuld abgeabeitet!" rief ein Matrose hinterher.
"Less dich ne weder of unserm Schiff blicke, hörs' du?!"
Eine klitschnasse Hand ergriff den Steg und zog sich hoch.
"Ich schwörs, ich mach was immer du willst, wenn du mir nächstes mal ne Fahrkarte kaufst." sagte Séamus wehmütig, bevor er sich auf die Stegkante setzte und sich Haare und Jacke auswrang.
_______________________________________________